Neue Herausgabe des menschlichen Erbgutes
Das Stichwort heißt Genome Editing. Mit Editing bezeichnet man sonst den Schnitt von Filmen oder auch eine Vorbereitung von Texten vor der Herausgabe. Der Begriff ist treffend: das Erbgut neu herausgeben!
Genetische Eingriffe an sich sind nichts Neues mehr. Man verändert Pflanzen, damit sie besser an bestimmte klimatische Bedingungen angepasst sind oder widerstandskräftiger gegenüber Erkrankungen werden. Was ist also das Neue?
- Die Technik (Crispr/Cas9) ist nicht mehr so kompliziert wie bisher benutzte Methoden. Man kann sie leichter lernen und verhältnismäßig einfacher benutzen.
- Erstmals sind Eingriffe durchgeführt worden, wo es um die menschliche Keimbahn geht. Das heißt, dass der erreichte Zustand an folgende Generationen weitervererbt wird.
Das absolute Tabu
Genau das war bisher das absolute Tabu. Es ist ohne weiteres einsichtig, dass eine andere Situation vorliegt, wenn ein einwilligungsfähiger Erwachsener einem Eingriff bei sich selbst zustimmt. Hier aber wird nicht nur ein noch nicht geborener Mensch „verändert“, sondern dazu noch die zukünftigen Generationen seiner späteren Nachkommen.
Das Ziel klingt zunächst einmal gut: Erbkrankheiten könnten ausgerottet werden. Nicht nur der eine Embryo könnte von dem ererbten krankhaften Gen befreit werden, sondern auch bei den Nachkommen würde diese genetisch bedingte Erkrankung nicht mehr auftreten.
Befreiung von Erbkrankheit oder Züchtung eines Neuen Menschen?
Allerdings könnte die Methode auch zum „Enhancement“, zur „Verbesserung“ des Menschen benutzt werden, zum Erschaffen eines Menschen mit bestimmten Eigenschaften. Der Fantasie für die Zukunft sind keine Grenzen gesetzt: möchten wir nur blonde und blauäugige Kinder? Oder nur schwarzhaarige mit braunen Augen? Entworfene und bestellte Menschen mit besonders starker Muskulatur? Vielleicht nur Mädchen? Und, wer weiß, eines Tages, möglicherweise nur besonders folgsame, angepasste Kinder? „Bessere“ neue Menschen also, wobei völlig unbekannt ist, wer entscheiden würde, was denn nun das erstrebenswerte „Gute“ sei?
Es wird klar, dass das Einsetzen dieser neuen technischen Möglichkeiten komplexe ethische Fragen aufwirft. Dabei ist eins der größten Probleme, dass der technische Fortschritt galoppiert, während die daraus resultierenden ethischen Fragen Zeit zur Beantwortung brauchen und die eventuell erwachsenden Konsequenzen von Seiten des Gesetzgebers noch mehr. So hatte zum Beispiel der Deutsche Ethikrat erst vor einem Jahr das Thema zwar diskutiert, war aber damals der Meinung, dass genügend Zeit für ein Nachdenken da sei, weil die tatsächliche Anwendung der Methode beim Menschen sehr weit entfernt schien.
Inzwischen wurden – nach den schon 2015 und 2016 bekannt gewordenen Versuchen chinesischer Forscher – im August 2017 Ergebnisse zur Keimbahntherapie im frühestens Stadium des menschlichen Lebens im Rahmen einer künstlichen Befruchtung veröffentlicht.
Aufruf des deutschen Ethikrates
Dies nahm der Deutsche Ethikrat jetzt zum Anlass, einen globalen politischen Diskurs und internationale Regeln zu fordern. Es müsse klar werden, „ob systematische, generationenübergreifende Veränderungen des menschlichen Genoms verboten oder zugelassen und, sofern sie grundsätzlich zugelassen würden, in welchem Maße sie mit Auflagen und Einschränkungen begrenzt werden müssen“.
Das ist wirklich dringend. Weltweit wird an den verschiedensten Zentren mit der neuen Methode gearbeitet und täglich können uns neue Fakten einholen.
Welche Fragen müssen als Erstes beantwortet werden?
Zunächst die mehr technischen.
- Welche Erkrankungen können jetzt gar nicht, aber realistisch in einer absehbaren Zeit durch diese neuen Therapiemethoden behandelt werden?
- Wie sicher ist die Methode? Gibt es Risiken und Schäden DURCH die Methode? Wie sind diese vermeidbar, wie kann die Methode erst sicherer gemacht werden?
- Wann genau, also in welchem Stadium, soll die Methode angewandt werden: an den noch nicht befruchteten Keimzellen, an den Keimbahnzellen oder am Embryo? Spielt die Zeit des Eingriffs eine Rolle in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkung der Methode?
Neue ethische Fragen
Das klingt schon kompliziert? Die ethisch-philosophischen Fragen sind bisher noch gar nicht berührt!
- Man wird sich neu auseinandersetzen müssen mit der Stellung des menschlichen Genoms selbst, welches in Deutschland (laut Gendiagnostikgesetz) ja eine Sonderstellung einnimmt. Eingriffe in die bisher vorgegebenen biologischen Gegebenheiten rütteln an unserem bisherigen Selbstverständnis als Menschen.
- Zum ersten Mal werden noch nicht gezeugte Menschen durch einen Eingriff betroffen. Das können wir. Dürfen wir das? Ist zunächst einmal nicht jeder ärztliche Eingriff und jedes Forschungsvorhaben von der Einwilligung der beteiligten Personen abhängig? Und was ist mit den später betroffenen Generationen, die man auch nicht befragen könnte?
- Wie stellen wir uns dem Problem, dass die Methode nicht zur Vermeidung von Krankheit, sondern zum „Enhancement“ verwendet werden kann?
- Wie steht es mit den Folgen für die Gesellschaft, z. B. soziale Gerechtigkeit oder Machtverhältnisse betreffend? Könnten zukünftige Eltern unter Druck gesetzt werden ?
Dringender Diskussionsbedarf!
Der Deutsche Ethikrat empfiehlt dem Bundestag und der Bundesregierung, bald „das Thema möglicher Keimbahninterventionen beim Menschen auch und vor allem auf der Ebene der Vereinten Nationen zu platzieren“ mit dem Ziel der Durchführung „einer internationalen Konferenz und Verabschiedung von global verbindlichen Regularien oder völkerrechtlichen Konventionen“.
Das ist ein wesentlicher Schritt; er ersetzt allerdings nicht einen schon vorher stattfindenden möglichst breit angelegten Diskurs in der Bevölkerung. Dieses Thema geht uns alle an. Die Diskussion sollte nicht morgen beginnen, sondern heute! Nehmen Sie teil!
Kürzlich bekam ich die Einladung zu einer Konferenz mit dem Titel „Ist die Gentechnologie reif für den Menschen“?
Vielleicht ist die wichtigere Frage: Ist der Mensch reif für die Gentechnologie?
Literaturtipp:
H.-R. Graack: Fluch oder Segen? Gentechnik für absolute Laien
Spektrum Kompakt: Crispr/Cas9. Erbgut auf dem Schneidetisch
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