Erst gegen Ende des 2. Lebensjahres erkennt ein Kind sich selbst im Spiegel, noch später sagt es “Ich“, was immer das heißt; denn was dieses ICH eigentlich ist, darüber herrscht Philosophenstreit seit der Antike, neuerdings aufgeflammt im Lichte der Neurowissenschaften*. Jedenfalls wird das Kind sich seiner selbst bewusst – Selbstbewusstsein im Sinne von “Bewusstsein von Bewusstsein”, nicht im oft gebrauchten Sinne von “Selbstvertrauen“ – und kann das endlich ausdrücken im Wort “Ich“.
Damit verbunden ist die erste Abgrenzung, das Wort “Du“. Der Mensch ist von Anfang an ja nicht allein, sondern in irgendeiner Form auf seine Umwelt bezogen. Die enge körperliche Verbindung des Kindes mit der Mutter wird bei der Geburt getrennt. Dann steht es ein Leben lang in einer Beziehung zu Anderen, nimmt kulturelle Einflüsse und soziale Verhaltensweisen in sich auf. Die Identität, so der Psychoanalytiker Erik Erikson, hängt von diesen Erfahrungen ab. Oder, nach Habermas in einem Satz vereinfacht ausgedrückt: Das, was man Identität nennt, ist nur gemeinsam mit anderen Menschen auszubilden. Das sagte übrigens auch schon der deutsche Philosoph Fichte vor 200 Jahren, dass nämlich der Mensch nur unter Menschen ein solcher wird, und ebenso alt ist Hegels Gedanke, dass die Wahrnehmung des Selbst mit der Abgrenzung zum Anderen verknüpft ist.
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